Jaroslav Martykán

Wappen oder Wappenfarben in einer Stadtflagge?

Liebe Freunde,

Es mag sein, daß die von den tschechischen Vexillologen geforderten Bedingungen für die Annahme einer neuen Stadtflagge, nicht von den Kollegen anderer mitteleuropäischer Staaten in ihrem ganzen Umfang für notwendig erachtet werden. Unter den zehn Kriterien, die für die Genehmigung einer Stadt- oder Gemeindeflagge in der Tschechischen Republik maßgebend sind, hat der parlamentarische Ausschuß für Heraldik festgelegt, daß "Flaggen, auf welchen das Tuch mit dem Schild des Stadtwappens belegt ist, grundsätzlich nicht genehmigt werden, weil das zu einer unnötigen Duplizität führen würde. Einzelne Wappenfiguren hingegen sind frei verwendbar." Obwohl der Wortlaut dieses Beschlusses die Begründung der Forderung enthält, lohnt es sich, die Umstände zu beleuchten, die zu ihrer Annahme geführt haben.

Der Ursprung der Stadtfahnen in Böhmen ist eigentlich im Militärischen zu suchen. Er ist mit den Anfängen der Stadtwappen verbunden. Zur Zeit ihrer Entstehung verfügten die freien königlichen Städte über eigene bewaffnete Einheiten. Schon im 14. Jahrhundert, aber ganz besonders in den beiden folgenden, unruhigen Jahrhunderten, als die Städte militärisch unabhängig waren, wurden die Wappen auf den Fahnen dieser Einheiten gezeigt, als Symbole für Eigenständigkeit und Unabhängigkeit, das Beispiel des Adels nachahmend. Mit der Zeit entwickelten sich drei Typen von Stadtfahnen. Anfänglich wurde das Wappenschild durch das Fahnentuch ersetzt, das heißt die Fahne bekam die Farbe des Wappenschildes und wurde mit dem Wappenbild belegt. Das war der älteste Typ der Stadtfahne (siehe Abb. 1). Später wurde das Fahnentuch mit dem vollständigen Wappen belegt. Dabei mußten die Farben des Tuches und des Schildes im Kontrast stehen. In der Regel wählte man für das Fahnentuch eine neutrale Farbe. Das ist der zweite Typ (siehe Abb. 2).

Die mit dem vollständigen Wappen oder mit komplizierten Schildbildern belegten Stadtfahnen waren aus der Entfernung schwer zu unterscheiden. Daher wurden später die wichtigsten Wappenfarben - meistens zwei, gegebenenfalls auch mehrere - für die Gestaltung der Fahne herangezogen und zwar in der Form von Längsstreifen. Die Farbe des Schildes wurde in der Regel für den unteren Streifen verwendet, die Farbe der Figur für den oberen. Wir sprechen in diesen Fällen vom dritten Typ.

Der Vexillologische Klub in Prag führte in den Jahren 1976-1977 in der ehemaligen Tschechoslowakei eine Untersuchung der Stadtflaggen und -fahnen durch. Die Ergebnisse zeigen alle drei Typen, von denen der dritte am häufigsten auftritt.

 

Durch die Nutzung der Stadtfarben erscheinen die historisch belegten Flaggen der tschechischen Städte stereotyp und uniform. Bei der Mehrzahl der Flaggen bilden waagerechte Streifen - meistens zwei - das Grundtuch. Unter den Farbkombinationen sind Weiß - Blau und Blau - Weiß mit einem Drittel vertreten, Gelb mit Blau mit 20% und Weiß mit Rot mit 16% . Das Vorkommen identischer Stadtfarben in vielen Städten hat es für ein Drittel von ihnen notwendig gemacht, die einfachen gestreiften Flaggen mit dem Stadtwappen zu ergänzen und damit eine bessere Unterscheidung zu ermöglichen.

Als wir nach den Gründen der farbigen Einförmigkeit unserer Flaggen nachforschten, waren wir gezwungen, uns mit den Stadtwappen und deren Vorgängern, den Stadtsiegeln, zu befassen. Die königlichen Städte führten meistens eine symbolhafte Darstellung der Stadtbefestigung, d. h. die Stadtmauer mit einem geöffneten oder geschlossenen Tor und mit einem oder mehreren Türmen, oft von einer Figur, einem Attribut oder dem modifizierten Wappen des böhmischen Königs, dem silbernen Löwen in Rot, begleitet (siehe Abb. 3).. Das Siegelbild der abhängigen Städte sah ähnlich aus, war jedoch fast immer mit dem Obrigkeitswappen des jeweiligen Stadtherrn versehen (siehe Abb. 4).

Obwohl jede Stadt bestrebt war, durch Zeichen oder Symbole ihre Eigenart im Unterschied zu den anderen Städten zu unterstreichen, wurde die Einzigartigkeit einer Flagge nicht erreicht, nicht einmal innerhalb eines Staates, geschweige innerhalb Europas. Die notwendige Vereinfachung bei der Darstellung eines Wappens auf einer Flagge - dem dritten Flaggentyp entsprechend - hat dies unmöglich gemacht. So war beispielsweise die Farbe der Stadtmauern auf den böhmischen Gemeindewappen in der Regel weiß (silbern). So hätten fast alle Stadtfahnen einen weißen oberen Streifen haben müssen. Oft wurde Weiß durch Gelb ersetzt oder es wurde - im Widerspruch zu den heraldischen Regeln - für den unteren Streifen benutzt (siehe Abb. 5)..

Die königlichen und andere bedeutende Städte besaßen das Privileg, ihre Schriftstücke mit rotem Siegellack zu siegeln, genauso wie der Monarch, die königlichen Behörden, der höhere Klerus und die Angehörigen des Adels. Folgerichtig wurde Rot für den Schild gewählt, insofern das Stadtwappen nicht in modifizierter Form vom königlichen abgeleitet wurde. Die abhängigen Städte und solche von geringer Bedeutung durften roten Siegellack nicht benutzen, ihnen stand der blaue, der grüne oder ganz selten der schwarze zur Verfügung. Da diese Städte in der Mehrzahl waren, ist es nur natürlich, daß die meisten Schilde blau sind und Blau auch die beliebteste Stadtfarbe geworden ist.

In einigen kleineren und neueren Orten in Deutschland und Österreich wird das aus den Wappenfarben gebildete Grundtuch mit dem Stadtwappen belegt. Genauso wurde im böhmischen Grenzgebiet (siehe Abb. 6) und später auch im Binnenland (siehe Abb. 7) verfahren, um gleichfarbige Fahnen unterscheidbar zu machen. Die Methode der Wiederholung oder Zugabe von weiteren Farbstreifen, die für die Fahnen der slowakischen Städte gewählt wurde, fand in Tschechien nur selten Nachahmung. Die Belegung der Stadtfarben mit dem Stadtwappen ist in Tschechien allmählich zur Tradition geworden.

Das geschieht im Widerspruch zur Meinung des Gründers der zeitgenössischen tschechischen Heraldik, Karel Schwarzenberg, der diese Praxis verurteilte. In seinem Buch Die Heraldik und ihre theoretischen Grundlagen schrieb er 1941: "Mit der Erkennbarkeit läßt sich nicht begründen, warum auf einer Fahne das Wappen mit einem anderen Motiv verbunden werden soll. Denn das Wappenbild an sich gibt unbestreitbar der Fahne am ehesten eine feierliche und heraldische Bedeutung. Und wenn jemand noch etwas dazu geben will, ist es zum Nachteil der Wahrnehmbarkeit. Es ist vielmehr verwunderlich, wenn das Zeichen mit den Wappenfarben verbunden ist. Diese Farben sind doch nichts anderes als ein Ersatz des Wappens." Das Prinzip, nicht den Schild auf das Grundtuch der Fahne zu legen, findet man vor allem bei den klassischen Fahnen der Schweizer, Deutschen und auch Tschechen im Mittelalter. Sie sind auf eine einfache und schlichte Weise entstanden, indem das Fahnentuch in der Farbe des Schildes mit der Wappenfigur belegt wurde.

Die obengenannte Uniformität der Stadtflaggen fiel zur Zeit des Sozialismus nicht auf, denn Stadtflaggen wurden praktisch nicht benutzt. An Feiertagen oder aus anderen wichtigen Anlässen wurde entweder die sowjetische Staatsflagge oder die rote Fahne der Arbeiterbewegung gehißt. Der Gebrauch der Stadtsymbole wurde nur ausnahmsweise geduldet, und zwar bei Festen von örtlicher Bedeutung oder einmaligen Veranstaltungen (Festivals, Messen u. ä.). Neue Stadtflaggen wurden nicht eingeführt, so daß die Einwände Schwarzenbergs praktisch bedeutungslos waren.

Eine Änderung im tschechischen Flaggenwesen schuf erst das Gemeindeverwaltungsgesetz von 1991, das sowohl den Städten als auch den Gemeinden das Recht einräumte, eigene Hoheitszeichen (Wappen und Flaggen) zu verwenden. Einerseits verloren die Städte dadurch ihr Privileg als Einzige eigene Hoheitszeichen verwenden zu dürfen, andererseits wurde bei den Gemeinden ein unerwartet großes Interesse geweckt, dieses neue Recht zu nutzen. Die Vorschläge für neue Hoheitszeichen unterliegen jedoch der Genehmigung durch das Parlament, dessen Vorsitzender die Symbole den Gemeinden verleiht. Als die Heraldische Kommission des Tschechischen Nationalrates, die 1991 ins Leben gerufen wurde, die Grundsätze des Genehmigungsverfahrens festsetzte, erinnerte man sich auch an Karel Schwarzenberg und seine Regel der Unvereinbarkeit der Stadtfarben mit dem Stadtwappen. Wenn auch dieses Prinzip eine ablehnende Reaktion hervorrufen könnte - und ich möchte heute gerade die Meinung der deutschen Kollegen hören - hat es, zusammen mit den übrigen neun Genehmigungsbedingungen, zu einem höheren Niveau bei den meisten der bislang gebilligten Stadt- und Gemeindeflaggen in der Tschechischen Republik beigetragen. In diesem Zusammenhang möchte ich daran erinnern, daß es in der Fachliteratur keine genaue und eindeutige Anleitung gibt, wie Stadtflaggen auszusehen haben, so daß Kriterien für ihre Gestaltung individuell zu suchen sind.

Die Autoren unserer Kriterien haben sich, meiner Meinung nach, ein wenig von den niederländischen Regional- und Stadtsymbolen inspirieren lassen. In den Niederlanden wechseln sich historische Wappenfahnen, wo das Grundtuch in der Schildfarbe mit dem Wappen, bzw. mit Wappenelementen belegt ist, mit neueren Flaggen in den Stadtfarben ab. Während die Übertragung eines einfachen alten Wappens auf die sog. heraldische Fahne sehr schöne und unverwechselbare Flaggen entstehen läßt, verursachen komplizierte Stadtwappen unübersichtliche, schwer identifizierbare Flaggen mit höheren Herstellungskosten. Deshalb ist der Fachausschuß unseres Parlamentes für eine Kombination von Farben und Wappenelementen, was zahlreiche ästhetisch gelungene vexillologische Entwürfe ermöglicht (siehe Abb. 8). Mögen die Flaggenautoren in ihren Entwürfen diese Kriterien auch respektieren!

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


Zurück zur Hauptseite Zurück zu "Veröffentlichungen" Zurück zum Seitenanfang