Arnold Rabbow
Wer in Amsterdam Durst auf ein "kopje koffie" verspürt und dieserhalb einen der zahlreichen "coffee shops" betritt, merkt recht bald, daß er sich nicht in einem der gemütlichen Cafés traditioneller Art mit heimeligem Interieur und Teppichen auf den Tischen befindet. Dämmriges Dunkel, ein fader süßlicher Mief und die Gestalten, die sich hier herumdrücken, lassen den Gast bald ahnen, daß er sich verirrt hat, und zwar in eines jener lokale, in denen mit behördlicher Billigung Haschisch verkauft wird.
Die weitherzige niederländische Drogenpolitik hat die Abgabe des vermeintlich "sanften" Rauschgifts legalisiert und auf diese Weise die holländische Residenzstadt zu einem Anziehungspunkt für Rauschgiftkonsumenten aus ganz Europa und sogar aus Übersee gemacht, denn neben der legal erhältlichen Einstiegsdroge wird in der Szene auch hartes Gift gehandelt und konsumiert. Der Zustrom von Junkies hart das Stadtbild von Amsterdam merklich verändert, zum Leidwesen vieler Holländer, jedoch zur Zufriedenheit der geschäftstüchtigen Betreiber billiger Hotels und Unterkünfte.
Die Hascher haben Amsterdam nicht nur zu ihrem Eldorado gemacht, sondern auch zum Zentrum einer offensiven Propaganda mit verbalen und visuellen Mitteln. Im Straßenbild der Innenstadt wimmelt es, insbesondere in der Nachbarschaft der "coffee shops", von Andenkenständen, in denen bunt bedruckte Souvenirs und Werbemittel Marihuana und allgemein eine weitere Lockerung der Drogenpolitik propagieren.
Tücher und Flaggen aus leichter Seide bzw. Kunstseide nehmen dabei einen vorderen Platz ein. Sie sind entweder mit dekorativen Mustern rund um die fünf- bis siebenblättrige Cannabis-Pflanze, mit Palmen Kußmündern, gesprengten Ketten und "psychedelischen" Motiven aller Art geschmückt oder aber traditionellen Flaggenmustern angenähert.
Auffallend ist die häufige Verwendung der pan-afrikanischen Farben Grün - Gelb - Rot, auch in umgekehrter Reihenfolge. Sie haben ihre Wurzel in den äthiopischen Nationalfarben und sind über die Brücke des afro-amerikanischen Rasta-Kultes, der den gestürzten und verstorbenen Kaiser Haile Selassie für noch lebend hält bzw. hielt und als geistliches Oberhaupt verehrt, nach Nordamerika und Europa gelangt.
Die Rasta-Symbolik wird häufig mit Marihuana-Emblemen verknüpft. So sind beispielsweise Packungen von Zigarettenpapier zum Selbstdrehen als grün - gelb - rote äthiopische Flagge gestaltet (Löwe von Juda schwarz und nicht, wie in der äthiopischen Nationalflagge der Kaiserzeit, vom Beschauer aus nach rechts gehend, sondern nach links).
Daß neben den europäischen Interessenten vor allem Kundschaft aus den Vereinigten Staaten angesprochen wird, erhellt daraus, daß das amerikanische Sternenbanner besonders häufig als Grundmotiv verwendet wird, wobei die rot - weißen Streifen unverändert bleiben, während das blaue Obereck indes mit Cannabis - Motiven anstatt der Sterne gefüllt ist, gewöhnlich mit einem großen Cannabis - Blatt oder zahlreichen kleineren solchen Blättern (jedoch wegen der besseren Erkennbarkeit meist weniger als 50).
Die preiswertesten Flaggen, erhältlich für 50 Cent bis 1 Gulden, bestehen nicht aus Stoff, sondern aus Karton: es sind Postkarten, deren eine Seite als Flagge gestaltet ist. Diese kennt man international üblicherweise als Nationalflaggen, die als Grußkarten für das Absenderland werben.
Daß es sich dabei um vexillologisch zu berücksichtigende Objekte, wesensmäßig tatsächlich um Flaggen handelt, auch wenn sie nicht aus Stoff, sondern aus Pappe gefertigt sind, steht außer Zweifel. Der Umstand, daß sie nicht, wie die meisten Flaggen, zwei Bildseiten besitzen, mindert ihre Flaggeneigenschaft nicht, denn es gibt solche "statischen", einseitigen Flaggen auch anderswo, zum Beispiel aufgemalt auf Schiffen, Flugzeugen oder Autokennzeichen. Das wesentliche ist, daß sie wie "normale" Flaggen auch, eine visuelle Botschaft öffentlich verkünden.
Eine markante Gruppe der Postkarten - Haschischflaggen verwendet ebenfalls Nationalflaggen, verfremdet sie jedoch satirisch. Außer Flaggen in den grün - gelb- roten bzw. rot- gelb - grünen Farben mit waagerechten oder senkrechten Streifen, verziert mit Cannabisblättern, zuweilen mit dem verbalen Aufdruck "Rasta", handelt es sich dabei fast in ausschließlich um die Flaggen westlicher Länder.
Die Postkarten stammen meistenteils aus den Niederlanden, überwiegend unter den Markennamen "Royal Cards" ( in Italien gedruckt) bzw. "Mister Blister" produziert, oder aus England, beispielsweise von der Firma "Headshop Supplies" (Stand Frühjahr 1997). Das Copyright der "Royal cards" besitzt Paul van Ewijk, der offensichtlich eine Serie von mindestens 32 Haschisch- Werbekarten (auch mit anderen als Flaggenmotiven) entworfen hat.
Die meisten Karten aus dieser Serie sind überdies auf der Adressenseite an der Stelle, auf der die Briefmarke aufzukleben ist, mit einem staatswappen - ähnlichen Haschischwappen verziert. Es enthält in Schwarzweißzeichnung ein Cannabisblatt in einem gekrönten Wappenschild, der von zwei widersehenden Löwen, auf ornamentalen Ranken stehend, gehalten wird.
Die "Basis"- Nationalflaggen der Bildseiten sind durchweg mit grünen Haschischblättern (Im Fall Kanadas, angenähert an das Ahornblatt, mit einem roten) angereichert und mit zuweilen witzigen bis zynischen oder sonstigen kurzen Textmotiven versehen.
Während bei Kanada lediglich der Landesname und bei Spanien das traditionelle "Viva España" erscheint, wird für Schweden und Dänemark bestätigt, wohl inspiriert vom weichen Singsang skandinavischer Sprachen, daß "Sweden hash it" und "Denmark hash it". Für Italien verfielen die Texter offenbar zwangsläufig auf "Amore", hier "Amore di canne", und für Deutschland ergab sich "Marihuana über alles" von selbst. Schlecht weg kommt Frankreich: "Fuck la France", während vom Papst behauptet wird "The Pope likes dope" und auf der Flagge des Vatikanstaates über dem Cannabisblatt ein Heiligenschein schwebt.
Die britische Hymne wird abgewandelt zu "God save the queen and the pot", wobei "pot" wegen des vorangesetzten Artikels doppelsinnig als Rauschgift wie auch als Nachtgeschirr übersetzt werden kann.
Unter den zahlreichen USA- Motiven wird Präsident Bill Clinton, der im Frühjahr 1997 als Staatsgast in Holland weilte, sich am meisten über ein Sternenbanner- Motiv "gefreut" haben, das den Kopf des Weißkopfadlers, des amerikanischen Wappenvogels, zeigt, der einen Joint raucht, und ein Zitat von Clinton wiedergibt: "I didn't inhale". Es bezieht sich auf Clintons Geständnis, als junger Mensch habe auch er einmal Haschisch probiert, jedoch den Rauch nicht inhaliert.
Die Niederlande schließlich werden, entsprechend ihrer duldsamen Drogenpolitik, auf ihrer Nationalflagge (übrigens mit korrekt dunkelblauem unteren Streifen) als das "Land des Marihuanas" gekennzeichnet: "Country of green grass".
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