Ales Brozek

Tschechische Gemeindeflaggen

Wie in nahezu allen europäischen Binnenländern ist die Einführung und der Gebrauch von Stadt- und Gemeindeflaggen auf dem Gebiet des heutigen Tschechien verhältnismäßig spät erfolgt.

Die ältesten Stadtfahnen sind aus der Zeit der Hussitenkriege bekannt: Mies (1306), Budweis (1406 und 1416) und Prag (1422). Es handelte sich dabei eigentlich um militärische Fahnen, denn die freien königlichen Städte hatten eigene Truppen.

Vorläufer der Stadtflaggen sind die Stadtfarben, die als Hoheitszeichen an städtischen Gebäuden und Fahrzeugen angebracht wurden und in der Regel aus zwei Farbstreifen bestanden. Im 19. Jahrhundert sind dann diese Farben in einigen Städten auf Flaggen übertragen worden, z.B. in Leitmeritz und Taus. Bis in die 20er Jahre unseres Jahrhunderts sind nicht mehr als ein Dutzend Flaggen hinzugekommen. Erst danach werden eine größere Anzahl von Stadtflaggen eingeführt, vor allem in den damaligen sudetendeutschen Gebieten. Die deutsche Bevölkerung dieser Gebiete wollte der offiziellen tschechoslowakischen Nationalflagge Zeichen ihrer eigenen Volkszugehörigkeit entgegensetzen. Da dies mit der deutschen Reichsflagge nicht möglich war, griffen sie auf Farben und Symbole ihrer Städte zurück. So sind auch die eingeführten Flaggen in der Mehrzahl zweifarbig längs gestreift gewesen und zu einem geringeren Teil mit dem jeweiligen Stadtwappen belegt.

Die Mehrzahl der Gemeindeflaggen des heutigen Tschechiens stammt aus der Zeit nach 1990. Die Betonung des Selbstbewußtseins der Gemeinden durch öffentlich sichtbare Symbole konnte sich, wie auch in Ostdeutschland, erst nach 1990 entwickeln. Die Einführung von Gemeindeflaggen erfolgt mit einer Zeitverschiebung von 10 bis 20 Jahren gegenüber anderen Ländern. Das Gemeindegesetz Nr. 367 vom 5. September 1990 erlaubt allen Gemeinden, eigene Wappen und Flaggen zu führen. Inzwischen haben über 400 von den etwa 6000 tschechischen Gemeinden eine Flagge.

Neue Wappen und Flaggen werden vom Präsidium des Tschechischen Parlaments verliehen. Die Heraldische Kommission berät den Parlamentsausschuß für Wissenschaft, Erziehung, Kultur, Jugend und Sport, und prüft die Anträge der Gemeinden und deren Entwürfe auf Einhaltung der wichtigsten heraldischen und vexillologischen Regeln. Die Kommission, die von Frau Jirina Pavlíkova geleitet wird, setzt sich aus 13 Mitgliedern zusammen, von denen die meisten Archivare oder Heraldiker sind. Drei Mitglieder gehören dem Prager Vexillologischen Klub an.

Was die Gestaltung der tschechischen Gemeindeflagggen anbetrifft, so müssen drei Grundregeln eingehalten werden:

- jede tschechische Gemeindeflagge muß sich von allen anderen tschechischen Gemeindeflaggen und allen Nationalflaggen unterscheiden,

- die Flaggen dürfen nicht mit Wappenschilden belegt werden und

- die Proportionen der Gemeindeflaggen müssen denen der tschechischen Nationalflagge entsprechen, also 2:3 betragen.

Bis in die 90er Jahre ähneln die tschechischen Gemeindeflaggen den deutschen. Bei vielen Flaggen werden waagerechte, senkrechte oder schräge (diagonale) Streifen verwendet. Die häufigsten Farbkombinationen sind blau-weiß, blau-gelb und rot-weiß. Es gibt aber auch ungewöhnliche Farbkombinationen, wie z. B. rot-grün. Um Verwechslungen durch gleichartige Muster zu vermeiden, wird mit der Zahl und der Breite der Streifen variiert.

Erst bei den Neuschöpfungen der 90er Jahre bemüht man sich die leicht verwechselbaren Streifenflaggen zu vermeiden und eine phantasievollere Gestaltung zu erreichen. So werden oft wellenförmige Streifen für an Flüssen liegende Gemeinden verwendet. Vielerorts werden Dreiecke und Sparren einbezogen, beeinflußt vom blauen Keil der tschechischen Nationalflagge. Bei etwa der Hälfte der neuen Gemeindeflaggen wird ein Bezug zum Gemeindewappen durch Übernahme von Figuren oder deren vereinfachte Abwandlung auf dem Flaggentuch hergestellt. Dabei wird von Symbolen aller acht von Smith2definierten Gruppen Gebrauch gemacht:

Himmelskörper (Sonne, Mond),

Erde und Landschaft (Wellen),

Pflanzenwelt (Hartriegel, Eichenblatt, Birkenblatt, Linde, Weide, Heidekraut),

 

Tierwelt (Löwe, Adler, Lamm, Skorpion, Hahn, Ziege, Hirsch, Pferd, Karpfen),

Menschen (Heiliger Martin),

Gegenstände (Jagdhorn, Winzermesser, Kelchglas),

Abstrakte Formen (sechs- und achtstrahliger Stern, Kreuz).

Inschriften (der Buchstabe T)


2 Whitney Smith: "Die Zeichen der Menschen und Völker", Luzern 1975. S. 310


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